Stellungnahme zu den Vereinbarungen der Ampelkoalition hinsichtlich Israel/Palästina – für eine andere Nahostpolitik

An die Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, Herrn Bundeskanzler Olaf Scholz
An die Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses und des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
An die Fraktionen des Bundestages: Bündnis 90 die Grünen, CDU, FDP, Die Linke, SPD

Anschreiben an die jeweiligen Adressaten:

Einen Frieden im Nahen Osten kann es ohne einen Frieden in Israel/Palästina nicht geben. Wir, der „Deutsche Koordinationskreis Palästina Israel  –  für ein Ende der Besatzung und einen gerechten Frieden“ sind ein bundesweites und  international vernetztes  Bündnis aus 34 bundesweit und regional arbeitenden Friedens-, Menschenrechts- und Solidaritätsgruppen und wenden uns mit der dringenden Aufforderung an die Bundesregierung, die im Koalitionsvertrag vereinbarte Absichtserklärung zu Israel und Palästina sowie die so oft erklärte wertebezogene Außenpolitik, in einen aktiven Friedensprozess umzusetzen. Wir haben daher in unserer Stellungnahme versucht zu erläutern, wie eine menschenrechts- und völkerrechtsbasierte Politik zum Frieden führen kann und entsprechende Empfehlungen für eine andere Nahostpolitik formuliert.

Die neue Bundesregierung hat sich verpflichtet, die Menschenrechte „als unverzichtbaren Teil einer erfolgreichen und glaubwürdigen Außenpolitik“ zu schützen. Das findet unsere volle Unterstützung und wir sind der Auffassung, dass dieser Maßstab auch auf Israel und Palästina angewandt werden muss. Wir begrüßen ebenso, dass mit dem Koalitionsvertrag der weiteren Unterstützung der UNRWA zugestimmt wird.
Die so oft beschworene Staatsräson für die Sicherheit Israels darf jedoch keinen Deckmantel für die israelischen Verletzungen des Völkerrechts und der Menschenrechte bilden.
Wir Deutschen haben eine besondere Verantwortung für das jüdische Volk – das steht ganz außer Frage, aber auch für das palästinensische Volk, das infolge der Staatsgründung Israels vertrieben wurde. Zugleich müssen wir als Freunde an Israel dieselben Anforderungen stellen wie an alle Staaten dieser Welt.
Während jüdische Israelis weitgehend alle Menschenrechte genießen können, werden diese den Palästinenser-*innen größtenteils vorenthalten, denn aufgrund der seit 1967 andauernden israelischen Besatzung der Westbank, Ost-Jerusalems, des Gazastreifens und des Golan kommt es zu permanenten Menschenrechtsverletzungen, wie sie von B’tselem, Amnesty International und Human Rights Watch seit Jahren dokumentiert werden, z.B. im Amnesty Jahresbericht: https://www.amnesty.de/informieren/amnesty-report/israel-2020.
Im Dezember 2021 haben sich 370 europäische Parlamentarier*innen gegen Zwangsvertreibung, Enteignung und Siedlungsausbau ausgesprochen und von den Außenminister*innen der EU Staaten konkrete Schritte gefordert. Amnesty sagt: Wir fordern die neue Bundesregierung dazu auf, Menschenrechtsverletzungen aller beteiligten Parteien in aller Deutlichkeit zu benennen. Wir fügen hinzu: auch die Verletzungen des internationalen Völkerrechts.
Aus den gleichen Gründen sollte die neue Bundesregierung den Internationalen Strafgerichtshof unterstützen, der Menschenrechtsverletzungen in Palästina und Israel untersucht.
Während jüdische Israelis ihr Selbstbestimmungsrecht 1948 verwirklichen konnten, wurde es den Palästinenser*innen verwehrt. Trotzdem haben bis heute 140 Staaten Palästina als Staat anerkannt. Leider nicht Deutschland. Sorgen Sie für eine Anerkennung des Staates Palästina durch die Bundesrepublik Deutschland, wie bereits 32 ehemalige deutsche Diplomaten 2011 forderten. Das wäre ein echter und überzeugender Aufbruch in eine neue deutsche Außenpolitik.
Dass Israel im November 2021 ausgerechnet sechs der bekanntesten und bestbeleumundeten palästinensischen Menschenrechtsorganisationen als terroristisch verboten hat, ist nicht hinnehmbar. Denn Verfehlungen können ihnen wahrlich nicht nachgewiesen werden, wie Josep Borrel schon bemerkt hat. Das Verbot muss zurückgenommen werden. Das fordert auch die Hohe Kommissarin für Menschenrechte der UN, Michelle Bachelet.
Wir stimmen mit dem Text des Koalitionsvertrags überein, wonach der fortgesetzte Siedlungsbau eine Verletzung des Völkerrechts ist. Leider wird allerdings der Verursacher des Siedlungsbaus nicht benannt. Kritik muss sich aber auch in konkreten Maßnahmen niederschlagen, z.B. in der Aufkündigung des Assoziierungsabkommens mit der EU gemäß Art.2 dieses Vertrages, wenn sie nicht, wie bisher, eine hohle Phrase bleiben will. Ebenso sollte die EU die Beteiligung Israels an Horizon Europe überdenken und einfrieren, bis Israel die Einhaltung seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen gegenüber den Palästinensern garantiert, wie es 60 Mitglieder des Europäischen Parlaments fordern.
Wir sind Ihrer Meinung, dass der fortdauernde Siedlungsbau das Haupthindernis für die Errichtung eines unabhängigen palästinensischen Staates ist und damit den Weg für den lang ersehnten Frieden zwischen Palästina und Israel versperrt. Bis jetzt lehnt die israelische Regierung jedoch die Errichtung eines souveränen palästinensischen Staates ab.
Wir fordern Sie daher auf:

  • Nehmen Sie – zusammen mit der EU und den USA – Israels Verstöße gegen das Völkerrecht und die Menschenrechte nicht länger hin.
  • Ergreifen Sie konkrete Maßnahmen, damit die israelische Besatzung und die Sipolitik beendet wird. Das gilt aktuell auch für die Golanhöhen.
  • Machen Sie alle zukünftige Kooperation mit dem Staat Israel abhängig von der Einhaltung des Völkerrechts und der Menschenrechte – insbesondere auch die militärische Zusammenarbeit.
  •  Unterstützen Sie die Untersuchungen des Internationalen Strafgerichtshofs.
  • Wirken Sie auf die palästinensische Autonomiebehörde und die Hamas ein, um demokratische Wahlen in den besetzten Gebieten zu gewährleisten.
  • Wirken Sie auf die israelische Regierung ein, damit sie das Verbot der
    palästinensischen NGOs zurücknimmt.
  • Fordern Sie Schadenersatz für die Zerstörung von EU-finanzierten Projekten durch Israel in den besetzten Gebieten.
  • Erkennen Sie den Staat Palästina an.

Im Sinne des Mottos des Koalitionsvertrags – wagen Sie mehr Fortschritt für den Frieden in Gerechtigkeit für Israel und Palästina!
Der KoPI-Sprecherkreis: Gisela Siebourg, Marius Stark, George Rashmavi, Claus Walischewski
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